Schon vor Jahren
machte ich kurz Rast am Inari-See während einer Kaffeepause auf der Überlandfahrt von Kirkenes nach
Rovaniemi . Damals konnte ich nur einen kurzen Blick auf den Wolken
verhangenem
See werfen. Freunde von mir waren im gleichen Jahr für eine Woche auch am Inari
und sahen sogar noch weniger vom Inari als ich: Sie hatten die ganze Zeit dicken Nebel.
Einem Reisebericht konnte ich entnehmen, dass der Autor die Temperaturen im Juli dort mit
nur acht Grad erlebt hatte. In einem anderen Bericht wurde geschildert,
dass die
Nahrungsaufnahme nur im schnellen Laufen möglich gewesen sei - wegen der unglaublich
vielen Mücken... Denn in Lappland gibt es viele verschiedene Mückenarten: Benutzt man
ein Antimückenmittel, vertreibt es garantiert auch die Hälfte der anfliegenden Mücken;
aber die anderen Hälfte scheint es umso mehr zu mögen. Und in diese Gegend
fahre ich
jetzt freiwillig. Denn mich interessiert das Leben der Samen, das Land und vor allem der
See, der mich mit seiner Mächtigkeit begeistert. Mit dem Bus
komme
ich aus der Finnmark nach Inari zum gleichnamigen Kirchdorf. Hier erwartet mich strahlend blauer
Himmel, über 25 Grad Celsius und ein ausgeprägtes Hochdruckgebiet, das für mich
insofern wichtig ist, weil die Mücken deshalb hoch oben fliegen und uns Menschen am Boden
doch so ziemlich in Ruhe lassen.
3 PS und
3.300 Inseln Von dem Bootsverleih Merja Nuppula
leihe ich
mir ein kleines Boot mit einem 3-PS-Motor aus und fahre hinaus auf den Inari. Die
großflächige Landkarte, die ich mir in Deutschland gekauft habe, kann ich
zum Navigieren zwischen den Inseln nicht so gut gebrauchen; Merja
hat mir
eine bessere Karte - eine spezielle Inari-Seekarte - mit gegeben. Merja ist übrigens eine See-Samin und lebt mit ihrem Mann Ari
und ihren drei Kindern hier am Inari. Mit dem Boot und reichlich Sprit tuckere ich gen
Osten. Der Ort Inari wird immer kleiner, und ich taucht ein in die faszinierende
Inselwelt des riesigen Inari-Sees mit ihren rund 3.300 Eilanden. Vorbei fahre ich an größeren und kleineren
Inseln. Am Anfang sind noch einige Häuser auf ihnen zu sehen, aber die
werden immer weniger. Ab und zu überfliegen mich Wasserflugzeuge auf ihren
Rundflügen mit Touristen an Bord. Diese haben sehr viel Geld
ausgegeben für einen exklusiven
Blick aus der Luft auf den Inari
(2002: Das
hat sich mittlerweile geändert, die Preise sind günstiger geworden. Nähere Infos in der
Inari-Touristen-Information oder im Hotelli).
Brandgefahr
Nach einigen Stunden suche ich mir eine
Insel, auf der ich mein Zelt aufschlagen will. Doch das erweist sich als schwierig: Nicht
jede Insel hat eine geeigneten Landeplatz. Und die, wo ich gut anlegen
kann, bieten meist einen
nur sehr schwer begehbaren felsigen Boden. Auf einer geschätzten 100 mal 50 Meter großen Insel
werde ich schließlich fündig. Sie bietet eine kleine Bucht zum Anlegen und zum Feuermachen.
Denn durch die Hitze der letzten Wochen ist es sehr trocken auf den Inseln, es
besteht erhöhte Brandgefahr.
Fische
und Regen
Diese Insel nenne ich Fisch-Insel, weil ich
dort meinen ersten Fisch fange. Denn als ein kurzer Regenschauer
aufkommt, werfe ich die
Angelschnur mit einem Fliegenköder ins Wasser und habe sofort einen am Haken. Ich
bin bestimmt überraschter als der Fisch, dafür bereichert er mein Abendessen. Auch
wenn ich nicht weiß, was ich da gefangen habe, schmeckt er trotzdem
lecker. Der Boden auf der Insel ist
übersäet mit großen
und kleineren Gesteinsbrocken. Da er nur von einer dünnen Erdschicht
bedeckt ist, die zumeist aus
Kiefernnadeln, Flechten und harten Moosen besteht, ist es sehr tückisch, sich auf der
Insel zu bewegen. Überall kann eine Erdspalte sein. Mein Robinson-Crusoe-Leben
ist dahin; denn jetzt geht es nur noch darum, auf welcher Insel
ich mein Zelt auf ebener
Fläche aufbauen kann. Obwohl mein
Zeltplatz leicht abschüssig
ist, liegt
er direkt am Ufer. Auf den Steinflächen am Wasser kann ich den Benzinkocher betreiben,
ohne dass er Schaden anrichten kann. Zudem habe ich direkt eine gute
Spül- und
Waschgelegenheit.
Goldene Anglerhände?
Am nächsten Tag
finde ich weiter östlich eine noch schönere Insel zum Campen. Den dort einzigen
zum Zeltaufbau geeigneten Platz finde ich zwischen zwei Findlingen und ein paar
umgestürzten Kieferbäumen.
Mein Abendessen will ich mir wieder
verbessern, und angespornt durch den ersten schnellen Angelerfolg werfe ich wieder den
Blinker aus. Sofort spannt sich wieder die Leine! Habe ich goldene Anglerhände? Doch
diesmal hat sich der Haken am Grund zwischen zwei Felsblöcken verfangen. Mit dem Boot
muss ich hinausfahren. Nach gut einer Stunde bekomme ich die Angel wieder frei. Der
mitgebrachte dehydrierte Möhreneintopf aus der Alutüte schmeckt
warm gemacht aber auch ganz gut...
Ameisen,
Ameisen, Ameisen...
Bei der Inselerkundung muss ich
feststellen,
dass die ganze Insel ein einziger Ameisenhaufen ist. So viele Ameisen
habe ich noch nie
gesehen. Überall klettern die in ihrer Art unseren heimischen Waldameisen ähnelnden
Insekten (oder sind es doch Termiten?) über die Steine und an Bäumen entlang. Der ganze
Inselboden scheint sich zu bewegen. Mit der Wahl meines Zeltplatzes
habe ich aber Glück
gehabt, es sind die wohl einzigen Quadratmeter auf der Insel, den sie in Ruhe
lassen.
Nette Insekten... Darum taufe ich diese Insel Ameisen-Insel.
Unwetter und gefangen
Abends ist es mit der Lagerfeuerromantik
vorbei. Aus Süden kommend schiebt sich eine schwarze Wolkenwand genau in meine Richtung. Je
näher sie kommt, desto unruhiger wird das Wasser im See. Plötzlich
setzt von der einen
Sekunde zur anderen ein helles Heulen ein. Kommen jetzt die Apokalyptischen Reiter?
Kontinuierlich hält dieser Ton an. Es erinnert mich an das Geräusch eines
heranbrausenden Zuges. Der Wind wird stärker und stärker. Schnell
ziehe ich das Boot, so
weit ich kann, an Land und vertäue es an einem Baum. Meine Kochsachen
bringe ich in
einer Mulde in Sicherheit.
Mehr und mehr wird es mir unheimlicher. Ich denke an einen
Orkan, der jetzt alles wegfegt. Ich befürchte einen so
starken Regen und Wind, dass ich samt Zelt wegschwimme oder
wegfliege. Die Zeltheringe habe ich wegen des steinigen
Bodens nicht richtig verankern können; ein stärkeres
Nachspannen ist deshalb auch nicht möglich. Das treibt mir
die ersten Schweißtropfen auf die Stirn. Jetzt weiß ich
auch, warum die Bäume um meinem Zelt umgestürzt sind. Krank
oder altersschwach sehen die Stämme nämlich nicht aus. Und
es stehen noch weitere Bäume dicht bei meinem Lager. Bei mir kommt leichte Panik auf. In
Windeseile packe ich im Zelt meinen Rucksack und hocke sprung- und fluchtbereit zwischen
den Planen. Über das Mobiltelefon, was ich für den Notfall mit dabei
habe, versuche
ich, Merja zu erreichen, aber nur der Anrufbeantworter meldet sich. Auf diesen
spreche ich
meine Position, damit man mich später wenigstens findet... Mittlerweile prasseln die Regentropfen auf
mein Zelt. Der helle Ton wird immer lauter. Durch den Luftschlitz im Zelt
beobachte ich
ängstlich den aufgewühlten Inari, wo ich jetzt mit dem Boot nicht mehr fahren
kann. Ich bin regelrecht gefangen! Doch
der Regen entpuppt sich nur als
"normaler" Regen, der Wind wird nicht stärker, das Wasser
beruhigt sich wieder und der helle Ton verschwindet so plötzlich, wie er gekommen
ist. Alles hat
gehalten, und nach einer Stunde ist das vermeintliche Unwetter vorbei. Der Sturm
ist nur
durch meinen Kopf gebraust. Für meine ausgestandenen Ängste werde ich dann mit einem
doppelten Regenbogen genau über meiner Insel belohnt.
Westwärts
Fast ein Drittel der
West-Ost-Ausdehnung des Inari habe ich schon zurückgelegt, und so langsam
geht mir der
Sprit aus. Weitere Fahrten wie zum Beispiel zu den großen Inseln im Süden und Osten
kann ich mir nicht mehr leisten. Nach einigen Tagen des "Überlebens in der
Wildnis" drehe ich also wieder in westliche Richtung und fahre in Richtung
Kirchdorf Inari. Höhepunkt
Ukko
Unterwegs mache ich Halt an der Insel Ukko, einer alten Opferinsel der Samen. Diese Insel
hat eine merkwürdige Form. Wie ein Dreispitz ragt sie aus dem Wasser. Ungefähr 30
Meter hoch, hat sie eine ovale Form von rund 300 mal 100 Metern. An dem einen Ende
ist ein Bootssteg angebracht, da von Land regelmäßig Ausflugsfahrten hierhin gemacht
werden.
So kann das Schiff an der Insel anlegen und die Touristen an Land gelangen, um über
eine Treppe zum "Gipfel" zu kommen. Nur für mein Boot ist
diese
Anlegemöglichkeit viel zu hoch.
Am anderen Ende der Insel
finde ich im Fels eine
schmale Nische. Mein Boot passt genau hinein, und ich kann so an Land gehen. Der
Aufstieg zur Spitze ist dafür nicht ganz ungefährlich. Aber irgendwann
habe ich es doch
geschafft. Der Blick über den Inari lohnt sich allemal. Überall
kann ich Wasser und
Inseln sehen. Dazwischen fährt gemächlich ein Motorboot und teilt das Wasser keilförmig
auseinander. Ein weiterer Höhepunkt meiner Inari-Tour im wahrsten Sinne des Wortes.
Tipps und Mücken
Schließlich erreiche ich wieder das
Kirchdorf Inari und gebe mein Boot bei Merja Nuppula ab. Ich
quartiere mich auf einem der Campingplätze ein und erzähle beim Abendessen in der Campingküche zwei Pärchen aus
Süddeutschland von meiner Inari-Tour. Sie hören begeistert zu und
chartern am
nächsten Tag bei Merja zwei Boote für ihre Inari-Tour. Das Kirchdorf Inari schaue ich mir an, die
Samische Kultur beherrscht das Leben hier. Ein Souvenirladen mit Supermarktdimensionen
verkauft allerlei Andenken. Hier gibt es auch das skandinavische Antimückenmittel
"Wilmas Beck Olia", was garantiert helfen soll. Mit einem Tuch
verschmiere ich das Öl auf der Haut. Es stinkt so bestialisch wie der Geruch eines
gelöschten Lagerfeuer. Die Mücken bleiben weg, und es will sich auch keiner mehr mit
mir unterhalten. So hat jede Sache eben ihre zwei Seiten.
Lappen und Samen
Nördlich von Inari liegt das Samenmuseumsdorf
mit dem Hof von Tirro. So haben die Samen bis in die fünfziger Jahre noch gelebt. Die
Samen sind ein stolzes Volk, und empfinden es als Beleidigung, wenn sie als
"Lappen" bezeichnet werden, denn in ihrer Sprache ist "Lappe" ein
Schimpfwort. Mittlerweile wohnen die meisten Samen in den
großen Städten im Süden. Hier oben im Norden gibt es das Länder
übergreifende
Samenparlament, das sich für die Belange ihrer Volksgruppen einsetzt. Vor fast fünfzig
Jahren war von den Regierungen die Schulpflicht auch für die Kinder der Samen verfügt
worden. Das war damals ein harter Schlag für die Halbnomaden. Durch diese
Staatsbestimmung waren sie gezwungen, sesshaft zu werden. Außerdem wurde den Kindern in
den Schulen nicht die samische sondern die norwegische, schwedische und finnische
Lebensweise gelehrt. Das hat zur Folge, dass die Kinder von damals heute nicht mehr
ihre eigene samische Sprache verstehen können.
Arktikum
Erst jetzt scheinen sich die Länder dieses
verschwindenden Volkes zu erinnern. In Rovaniemi, der finnischen Stadt auf dem Polarkreis
mit 33.000 Einwohnern, ist am 6. Dezember 1992 (Finnischer Unabhängigkeitstag) das
Arktikum eröffnet worden, ein architektonisch interessantes Museum mit einer 176
Meter langen gläsernen Arkade einer Kathedrale ähnelnd. Dort sind ein arktisches
Forschungszentrum, ein Teil der Universität Lappland und das Provinzmuseum Lappland
untergebracht, die u. a. eindrucksvoll das Leben und die Kultur der Samen und die
Geschichte Skandinaviens zeigen.
Mit dem leider viel zu kurzen Einblick in das
Leben eines der nördlichsten Naturvölker endet mein Aufenthalt am
großen Inari, einer
der letzten Urlandschaften Europas.
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